Sondernewsletter zum EU-Asylkompromiss…

 

Ein schwarzer Tag für die Menschenrechte

von Tobias Krohmer

Der von den Innenminister*innen der EU ausgehandelte Kompromiss ist vieles, aber ganz sicher kein Meilenstein in der Verteidigung der Menschenrechte. Worauf man sich hier verständigt hat, wird es denen, die auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und unerträglichem Elend sind, noch schwerer machen, Schutz zu finden. Ja, wenn das alles eins zu eins umgesetzt wird, werden sie womöglich überhaupt keinen Schutz mehr finden können.

Kein Schutz für niemand

Die Darstellung dessen, worauf man sich geeinigt hat, weist in den meisten Medien nämlich erhebliche Lücken auf. Anders als man vielerorts lesen kann, sind nicht nur Menschen aus Ländern mit niedriger Anerkennungsquote davon bedroht, in Europa keine Zuflucht mehr zu finden. Auch Menschen aus Ländern mit hoher Anerkennungsquote könnten ohne ordentliches Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU abgeschoben werden, wenn diese als “sicher” eingestuft würden. Dies wäre offenbar schon zulässig, wenn sie auf ihrer Flucht durch einen solchen “sicheren” Drittstaat gereist wären. Letztlich würde dies eine völlige Aushebelung des Refoulement-Verbots bedeuten, da ein Drittstaat selbst dann als sicher eingestuft werden könnte, wenn aus ihm Schutzsuchende in unsichere Herkunftsländer abgeschoben würden. In jedem Fall ist dieser Punkt geeignet, alle Schutzsuchenden von europäischem Boden zu verbannen, es sei denn, sie kämen, wie die aus der Ukraine, direkt aus einem an die EU grenzenden Land.

Seitens der Bundesregierung – und besonders der Innenministerin – werden solche unschönen Details des gestrigen Deals jedoch lieber unter den Teppich gekehrt. Vermutlich passen sie nicht in das Bild, das gerade die Ministerin von sich zu zeichnen sucht: nämlich das der mutigen Verteidigerin der Menschenrechte.

Schlimmer als Dublin

In dieses Bild passt auch nicht, dass das Dublin-Verfahren nach den gestrigen Verhandlungen verschärft werden soll. Statt sechs Monate sollen Staaten künftig zwei Jahre oder u. U. sogar noch länger Zeit haben, um Schutzsuchende in die EU-Staaten abschieben zu können, in denen sie als erstes angekommen sind.

Vielleicht streicht die Innenministerin diesen Punkt nicht gern heraus, weil Deutschland ein ganz besonderes Interesse an dieser Verschärfung haben dürfte und sie sich deshalb dafür auch besonders stark eingesetzt hat. In wohl keinem anderen europäischen Land wird die bisherige Regelung nämlich so sehr in Frage gestellt wie in Deutschland durch die hiesige entschlossen Kirchenasylbewegung. Versuche, diese mit strafrechtlichen Androhungen einzuschüchtern, waren erfolglos. Doch mit der nun ausgehandelten Verschärfung hätte man endlich ein Instrument, um die Engagierten gänzlich zu demotivieren.

Lieber ein fauler Kompromiss als kein Kompromiss

Überdies konnte die Ministerin von den von ihr eigentlich vertretenen menschenrechtlich zwingend gebotenen Positionen eingestandenermaßen keine durchsetzen. Die Ausnahme von Familien mit Kindern von den Außengrenzen-Verfahren in Internierungslagern gab sie dann auch lieber preis, als ein Scheitern der Verhandlungen zu riskieren. Man darf sich die Frage stellen, ob hier nicht schon ein Verfassungsbruch vorliegt. Der Verteidigung der Menschenwürde sind die Verhandlungsergebnisse keineswegs dienlich. Und diese ist die letzte Richtschnur für das Handeln der im deutschen Staate Verantwortlichen, also auch für das der Innenministerin.

Letzte Chance EU-Parlament

Natürlich sind die ausgehandelten Regelungen nun keineswegs bereits Gesetz. Zwar wird verbissen das Ziel verfolgt, sie noch vor der nächsten Europawahl dazu zu machen, weil man fürchtet, dass nach dieser andere Kräfteverhältnisse herrschen und neu verhandelt werden müsste. Über das EU-Parlament können jedoch immer noch Änderungen eingebracht werden. Kontakt mit den hessischen Europa-Abgeordneten aufzunehmen, wäre daher jetzt das mindeste, was man tun kann, wenn die Abschottungspolitik nicht das letzte Wort in Europa haben soll.